Station 3: Clinicumsgasse/Stiftskirche

 
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)
Willkommen und Abschied

 
Es schlug mein Herz, geschwind, zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
 
Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!
 
Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich - ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!
 
Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück! 

 

Station 3: Clinicumsgasse/Stiftskirche

 
Ralph Hoffmann (*1969)
Wach auf, meins Herzens Schöne 

 
Wach auf, meins Herzens Schöne,
Herzallerliebste mein!
Ich hör ein süß Getöne
Von kleinen Waldvöglein,
Die hör ich so lieblich singen,
Ich mein, ich säh des Tages Schein
Vom Orient her dringen.

 
Ich hör die Hahnen krähen
Und spür den Tag dabei,
Die kühlen Winde wehen,
Die Sternlein leuchten frei.
Singt uns Frau Nachtigalle,
Singt uns ein süße Melodei,
Sie neut den Tag mit Schalle.

 
Selig ist Tag und Stunde,
Darin du bist gebor'n,
Gott grüß mir dein rot' Munde,
Den ich mir hab erkor'n.
Kann mir kein Liebre werden,
Schau daß mein Lieb nicht sei verlor'n!
Du bist mein Trost auf Erden. 

 

Station 3: Clinicumsgasse/Stiftskirche

 
Joseph von Eichendorff (1788–1857)
Frische Fahrt 

 
Laue Luft kommt blau geflossen,
Frühling, Frühling soll es sein!
Waldwärts Hörnerklang geschossen,
Mut’ger Augen lichter Schein,
Und das Wirren bunt und bunter
Wird ein magisch wilder Fluß,
In die schöne Welt hinunter
Lockt dich dieses Stromes Gruß.

Und ich mag mich nicht bewahren!
Weit von Euch treibt mich der Wind,
Auf dem Strome will ich fahren,
Von dem Glanze selig blind!
Tausend Stimmen lockend schlagen,
Hoch Aurora flammend weht,
Fahre zu! ich mag nicht fragen,
Wo die Fahrt zu Ende geht! 

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