Station 5: Hölderlingarten

 
Hugo Wolf (1860–1903) / Joseph von Eichendorff (1788–1857)
Resignation

 
Komm, Trost der Welt, du stille Nacht!
Wie steigst du von den Bergen sacht,
Die Lüfte alle schlafen,
Ein Schiffer nur noch, wandermüd',
Singt übers Meer sein Abendlied
Zu Gottes Lob im Hafen.

 
Die Jahre wie die Wolken gehn
Und lassen mich hier einsam stehn,
Die Welt hat mich vergessen,
Da tratst du wunderbar zu mir,
Wenn ich beim Waldesrauschen hier
Gedankenvoll gesessen.

 
O Trost der Welt, du stille Nacht!
Der Tag hat mich so müd' gemacht,
Das weite Meer schon dunkelt,
Laß ausruhn mich von Lust und Not,
Bis daß das ew'ge Morgenrot
Den stillen Wald durchfunkelt.
  

Station 5: Hölderlingarten

 
Andreas Gryphius (1616–1664)
Abend

 
Der schnelle Tag ist hin / die Nacht schwingt jhre fahn
Vnd führt die Sternen auff. Der Menschen müde scharen
Verlassen feld vnd werck / Wo Thier vnd Vögel waren
Trawrt jtzt die Einsamkeit. Wie ist die zeit verthan!
Der port naht mehr vnd mehr sich / zu der glieder Kahn.
Gleich wie diß licht verfiel / so wird in wenig Jahren
Ich / du / vnd was man hat / vnd was man siht / hinfahren.
Diß Leben kömmt mir vor alß eine renne bahn.
Laß höchster Gott mich doch nicht auff dem Laufplatz gleiten /
Laß mich nicht ach / nicht pracht / nicht lust / nicht angst verleiten.
Dein ewig heller glantz sey vor vnd neben mir /
Laß / wenn der müde Leib entschläfft / die Seele wachen
Vnd wenn der letzte Tag wird mit mir abend machen /
So reiß mich auß dem thal der Finsternuß zu Dir. 

 

Station 5: Hölderlingarten

 
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) / Johann Ludwig Uhland (1787–1862)
Ruhetal

 
Wenn im letzten Abendstrahl gold'ne Wolkenberge steigen,
gold'ne Wolkenberge steigen und wie Alpen sich erzeigen,
frag ich oft mit Thränen:
liegt wohl zwischen jenen
mein ersehntes Ruhethal?
Liegt wohl dort mein ersehntes Ruhethal?
 

Station 5: Hölderlingarten

 
Joseph von Eichendorff (1788–1857)
Mondnacht

 
Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt’.

 
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

 
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
 

Station 5: Hölderlingarten

 
Harald Genzmer (1909–2007) / Friedrich Hölderlin (1770–1843)
Lebenslauf

 
Hoch auf strebte mein Geist, aber die Liebe zog
Schön ihn nieder; das Laid beugt ihn gewaltiger;
So durchlauf ich des Lebens
Bogen und kehre, woher ich kam.
 

Station 5: Hölderlingarten

 
Friedrich Rückert (1788–1866)
Reiseziel

 
Nun ist das Leben an seinem Ziel,
Und ohne Zweck war die Reise.
O Jüngling, rühre das Saitenspiel,
Schon morgen wirst du zum Greise.

 
Das lecke Schiff und der morsche Kiel
In Meeren ohne Geleise,
Der Winde Ball und der Wellen Spiel,
Unnütz gewirbelt im Kreise.

 
So viel gehofft und gewünscht so viel,
Getäuscht in jeglicher Weise,
Hindurch durchs ewige Widerspiel,
Gequält von Glut und von Eise.

 
Nun sinkt die Rose auf mattem Stiel,
Die Blätter fallen vom Reise,
Nun ist das Leben an seinem Ziel,
Und ohne Zweck war die Reise.
 

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